Immer häufiger werden Geschädigte mit der sog. Vorschadensproblematik bei Verkehrsunfällen konfrontiert. Für die Haftpflichtversicherungen ist es eine Selbstverständlichkeit, eine Auskunft über das Fahrzeug im Hinweis- und Informationssystem (kurz: HIS) einzuholen. Im HIS werden Daten zum Fahrzeug gemeldet und gespeichert. In der Regel gibt die Haftpflichtversicherung eine Meldung im HIS ab, wenn ein Fahrzeug ein Unfallschaden erleidet und der Eigentümer den Schaden abrechnet. Dies gilt auch für Vollkaskoschäden. Erleidet der Eigentümer mit dem Fahrzeug einen weiteren Unfall und begehrt gegenüber der Haftpflichtversicherung die Auszahlung des Schadens, so wird die Versicherung über das HIS Kenntnis vom Vorschaden erlangen und den Nachweis der Reparatur vom Erstschaden verlangen.
Aber auch ohne Auskunft kann der Geschädigte mit der Vorschadensproblematik konfrontiert werden, wenn er Nachfragen der Haftpflichtversicherung zu etwaigen Vorschäden beantwortet.
Wenn Ihr Fahrzeug bereits vor dem Unfall Schäden aufwies, könnte die Vorschadensproblematik auch für Sie relevant werden.
Denn erlangen Haftpflichtversicherungen – selbst bei einem unverschuldeten Unfall – Kenntnis von einem Vorschaden, so müssen Sie sich darauf einstellen, dass diese Nachfragen zum Vorschaden stellen werden. Selbst wenn Sie die Nachfragen beantworten können, kann es vorkommen, dass die Haftpflichtversicherungen eine Auszahlung ablehnen – erst recht, wenn der neue Schaden dasselbe Fahrzeugteil betrifft.
In der Regel wird die Ablehnung damit begründet, dass Sie als Geschädigter darlegen und beweisen müssen, ob und in welchem Umfang Ihnen ein Schaden entstanden ist. Im Klartext: Sie sollen beweisen, dass der geltend gemachte Schaden nicht aus einem früheren Schadensfall stammt.
Um auf den Vorschadenseinwand der Haftpflichtversicherung richtig reagieren zu können, ist ausschlaggebend, ob der Neuschaden vom Vorschaden abgegrenzt werden kann. Zur Veranschaulichung wird zwischen folgenden Fallgruppen unterschieden:
- Unreparierter Vorschaden außerhalb des Neuschadenbereichs
- Reparierter Vorschaden außerhalb des Neuschadenbereichs
- Unreparierter Vorschaden innerhalb Neuschadenbereichs
- Reparierter Vorschaden innerhalb Neuschadenbereichs
Unreparierter Vorschaden außerhalb des Neuschadenbereichs
In diesem Fall liegt der unreparierte Vorschaden außerhalb des Neuschadenbereichs. Es sind somit zwei voneinander abgrenzbare Fahrzeugteile betroffen (z.B. Vordere Stoßstange und Fahrzeugtür hinten rechts).
Ist der Vorschaden unrepariert, hat dieser Umstand lediglich Auswirkungen auf die Schadenhöhe und den Wiederbeschaffungswert.
Reparierter Vorschaden außerhalb des Neuschadenbereichs
Problematisch wird es, wenn der Geschädigte vorträgt, der Vorschaden wäre sach- und fachgerecht repariert worden. Häufig bestreiten die Haftpflichtversicherungen pauschal die sach- und fachgerechte Instandsetzung und fordern die Vorlage etwaiger Reparaturrechnungen mit dem Ziel, die im Sachverständigengutachten festgestellte Schadenhöhe oder den errechneten Wiederbeschaffungswert in Frage zu stellen.
Hat der Vorschaden keinen Einfluss auf die Schadenhöhe des Neuschadens, so obliegt es dem Sachverständigen die Schadenhöhe detailliert zu kalkulieren, um der Versicherung keinen Spielraum für pauschale Einwände zu ermöglichen.
Fakt ist, dass ein reparierter Vorschaden zwar zu Einwänden seitens der Versicherung führen kann, was jedoch in der Praxis durch ein detailliertes Gutachten und umfassende fotografische Dokumentation der Schadensbeseitigung erfolgreich widerlegt werden kann.
Unreparierter Vorschaden innerhalb des Neuschadenbereichs
Liegt der Vorschaden innerhalb des Neuschadenbereichs bestreitet die Haftpflichtversicherung grundsätzlich, dass der Neuschaden aus dem aktuellen Unfallgeschehen herrührt. Die Haftpflichtversicherung wird behaupten, dass der Neuschaden einem früheren Schadensereignis zuzuordnen ist. Die Regulierung wird meistens abgelehnt.
In diesen Fällen obliegt nach ständiger Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 15.10.2019 – Az.: VI ZR 377/18) dem Geschädigten darzulegen und zu beweisen, dass der Neuschaden von dem bereits vorhandenen (reparierten) Vorschaden abzugrenzen ist.
Ist der Vorschaden unrepariert hat der Geschädigte konkret über die Art und dem Umfang des Vorschadens vorzutragen. Gelingt es dem Geschädigten nicht die Schäden voneinander abzugrenzen, gibt es in der Regel keinen Anspruch auf Schadensersatz.
Reparierter Vorschaden innerhalb des Neuschadenbereichs
In den Fällen, in denen der Geschädigte einwendet, dass der Vorschaden repariert wurde, verlangen diverse Gerichte, konkreten Sachvortrag zu Art und Umfang des Vorschadens und zur fach- und sachgerechten Reparatur, vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 07.03.2017 – U 31/16. Auch hier trägt der Geschädigte das Beweislastrisiko.
Für den Geschädigten bedeutet das grundsätzlich, dass dieser wie oben beschrieben, nachweisen muss, dass der Neuschaden nicht aus dem vorherigen Schadensereignisses herrührt.
Hat der Geschädigte den Vorschaden in Eigenregie repariert, liegt ihm logischerweise keine Rechnung vor. Der Betroffene sollte sich dennoch nicht voreilig von der Versicherung vertrösten lassen.
Das OLG Bremen stellt Urteil vom 30.06.2021 – Az.: 1 U 90/19 fest, dass die Vorlage von Reparaturrechnungen nicht notwendig ist, um der Darlegungslast zu genügen.
Der Geschädigte muss daher nicht zwangsläufig eine Reparaturrechnung vorlegen, um die sach- und fachgerechte Reparatur nachzuweisen, allerdings befreit diese Entscheidung den Geschädigten nicht von einem konkreten Vortrag.
Der Geschädigte kann, sofern ihm keine Rechnung vorliegt, den Einwänden der Haftpflichtversicherung in der Regel erfolgreich entgegentreten, wenn dieser den Reparaturweg konkret darlegt und bestenfalls fotografisch festgehalten hat. Noch besser ist es, wenn der Geschädigte den Sachverständigen im Vorfeld auf den reparierten Vorschaden hinweist, damit dieser den reparierten Vorschaden fotografisch dokumentiert, um den Nachweis im Falle eines Neuschadens mittels einer Reparaturbestätigung erbringen zu können. Aber auch hier gilt es zu beachten, dass mittlerweile viele Versicherungen Reparaturbestätigungen nicht mehr akzeptieren.
Für den Geschädigten bedeutet es, sofern dieser sich dazu entscheidet, den Schaden in Eigenleistung zu reparieren, den Reparaturweg detailliert zu dokumentieren. Dies kann er tun, indem er alle Unterlagen, die mit der Reparatur zusammenhängen, sorgfältig aufbewahrt.
Beispielsweise kann er Ersatzteilrechnungen aufbewahren, den Reparaturweg fotografisch festhalten oder eine Reparaturbestätigung eines Sachverständigen einholen. Sollte ein Bekannter bei der Reparatur mitgewirkt haben, sollte sich der Geschädigte die Mitwirkung schriftlich bestätigen lassen. Hierzu genügt es nicht, dass der Bekannte die Reparaturvornahme floskelhaft bestätigt. Vielmehr muss dieser detailliert erklären, wie er die Reparatur durchgeführt hat. Vorsichtshalber sollte der Geschädigte alle Unterlagen sorgfältig aufzubewahren.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Vorschadensproblematik ein sehr komplexes Themenfeld ist, welches zunehmend Einfluss auf die Regulierung nimmt. Daher sollte bereits im frühen Stadium Vorschadensfragen mit dem Sachverständigen und/oder dem Anwalt erörtert werden. Hat der Geschädigte das Fahrzeug gebraucht erworben, sollte der Kaufvertrag nach Vorschadensangaben überprüft werden. Ist das Fahrzeug bereits in einem Verkehrsunfall verwickelt gewesen, sollten alle Unterlagen über frühere Reparaturen dem Sachverständigen vorgelegt werden. Der Geschädigte hat auch die Möglichkeit eine HIS-Abfrage, also eine Selbstauskunft über das Fahrzeug über die Website www.informa-his.de vorzunehmen. Hierdurch kann der Geschädigte etwaige abgewickelte Unfälle vom Vorbesitzer einsehen.
Das Themenfeld rund um die Vorschadenproblematik ist sehr komplex, sodass die Einschaltung eines Rechtanwaltes unerlässlich ist.